Leserbrief über Zivilcourage
Wir leben in einer Zeit, in der das Weg- schauen zur Normalität geworden ist. Sei es im Alltag, im Berufsleben oder im öffentlichen Raum. Zu oft erleben wir Situationen, in denen Unrecht ge- schieht und keiner eingreift. Das Fehlen von Zivilcourage ist ein alarmierendes Zeichen für den Zustand unserer Gesell- schaft und es wird Zeit, dass wir alle aufwachen und Verantwortung über- nehmen. Zivilcourage bedeutet, den Mut zu haben, gegen Ungerechtigkei- ten und Fehlverhalten aufzutreten, selbst wenn es unbequem oder riskant ist. Es ist ein wichtiger Bestandteil einer funktionierenden und gerechten Ge- sellschaft. Doch was erleben wir statt- dessen? Menschen, die sich wegdrehen, wenn andere in Not sind. Personen, die Missstände ignorieren, aus Angst oder einfach aus Bequemlichkeit.
Ein Beispiel sind die alltäglichen Vor- fälle in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer hat nicht schon einmal gesehen, wie jemand belästigt wurde, während die Mitreisenden stumm zusahen? Stu- dien zeigen, dass zwischen 20 und 60 Prozent der Frauen in der Schweiz schon einmal sexuellen Belästigungen ausge- setzt waren, und dass dies bei 2 bis 10 Prozent der Frauen allein in den letzten 12 Monaten der Fall war. Besonders erschreckend ist, dass ein Grossteil die- ser Belästigungen im öffentlichen Raum stattfindet, insbesondere im Tram, Bus oder am Bahnhof, wie Radio SRF berich- tete. Diese Szenarien sind keine Selten- heit und zeigen deutlich, wie wenig Zivilcourage in unserer Gesellschaft verankert ist. Doch es geht nicht nur um sexuelle Belästigungen. Auch körperli- che Übergriffe, verbale Attacken, Dis- kriminierungen und Mobbing im Alltag bleiben oft unbeachtet, obwohl sie das Leben vieler Menschen schwer belasten. Wir müssen verstehen, dass Zivilcourage nicht nur die Aufgabe einiger weniger ist, sondern dass jeder Einzelne von uns gefordert ist. Es beginnt damit, sensibel zu sein und nicht einfach weg-zuschauen. Es bedeutet, sich für die
Schwächeren einzusetzen und Unge-rechtigkeiten anzusprechen. Auch klei-ne Taten können Grosses bewirken – seies ein aufmunterndes Wort, die Unter-stützung eineOpfers oder das klare Signal, dass wir Fehlverhalten nicht tolerieren. Wir brauchen eine Kultur des Hinschau- ens. Es ist nicht zu spät, den Kurs zu ändern. Jeder von uns kann einen Bei- trag leisten, um eine Kultur des Hinse- hens und der Zivilcourage zu fördern. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass Unrecht nicht unbemerkt bleibt und dass diejenigen, die mutig genug sind, einzugreifen, die Unterstützung der Gesellschaft erfahren. Denn nur so kön- nen wir eine Gemeinschaft aufbauen, die auf Gerechtigkeit, Mitgefühl und Solidarität basiert. Miteinander statt nebeneinander.11_16.08.2024